Leseprobe | |||
Aufbau Tb, Berlin 1999, Broschiert 384 Seiten EUR 8,95 ISBN: 374661595X |
Weg vom Fenster Die Frau brachte ihr das Radler und den Rest von den fünf
Mark. Ines bedankte sich. Und wieder: „Paßt
scho.“
Sie schrak zusammen. Da hatte doch etwas geknallt. Eine
Fehlzündung? Automatisch schuckelte sie den Kinderwagen,
ein fast schon zur zweiten Natur gewordenes Zucken der hand,
doch Johnny schlief so friedlich wie schon lange nicht mehr.
Gleichzeitig sah sie zum erleuchteten Fenster hoch, sah,
wie der Vorleser in die Knie ging, noch ein Stück in
sich zusammensackte und dann mit einem Ruck aus der Sicht
verschwan. Ein Paternoster, dachte sie augenblicklich und
erwartete beinahe, den Mann nach einer verlängerten
Fahrt durch den Keller ein Stück weiter rechts wieder
auftauchen zu sehen, zuerst den Kopf, dann den Oberkörper,
die Beine, die Füße, bis er gen Himmel entschwinden
würde. Zugleich spürte sie deutlich, daß
etwas geschehen war. Daß der Mann nicht mehr auftauchen
würde. Nie mehr.
Sie war auf der Hut. Sie konnte sich nach wie vor keinen
Reim darauf machen, wie es eigentlich gekommen war, daß
sie und Popp dieses höchst unsichere erotische Terrain
betreten und die solide Kollegenbasis verlassen hatten.
[…] Sie zog sich schließlich nicht vor jedem
aus und ließ sich nicht von jedem anfassen. Sie und
Popp hatten ein Floß bestiegen und waren in die Nacht
geglitten und hatten die Strudel unter der Steinernen Brücke
passiert und hätten, wenn es nach Freya gegangen wäre,
die ganze Nacht durch die Dunkelheit fahren können
– doch dann waren sie auf Grund gelaufen. Besser gesagt,
Popp hatte sie auflaufen lassen. Er hatte den Fall Breitkreuz
in ihr Bett gezerrt wie eine Wasserleiche auf die Planken,
wenn sie schon einmal bei dem Vergleich war. Er hatte sich
übergangslos und plump vom Geliebten Popp in den Kollegen
Popp zurückverwandelt. Und was, bitte schön, tat
ein Kollege in ihrem Bett? Auf ihrem Floß? Raus hier!
Runter ins kalte Wasser! Schwimm alleine weiter! Sie nahm
es ihm übel, daß er nicht getrennt hatte zwischen
Beruf und körperlichen Begierden … |